Der alternative Zeitplan der Passionswoche – Ein johanneischer Blick
- Deborah Hess
- 13. Apr.
- 2 Min. Lesezeit

Die synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) und das Johannesevangelium schildern die Passion Jesu mit teilweise unterschiedlichen chronologischen Akzenten. Besonders ins Auge fällt, dass Johannes Jesus nicht wie die Synoptiker am Passafest selbst kreuzigen lässt, sondern bereits am Rüsttag – dem Tag vor dem Passa. Diese Verschiebung ist nicht zufällig. Sie ist Teil einer tiefgreifenden theologischen Aussage, die Johannes mit seiner Darstellung treffen will.
Die synoptische Darstellung: Das letzte Abendmahl als Passamahl
Die Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas lassen das letzte Abendmahl Jesu am Abend des 14. Nisan stattfinden – dem Zeitpunkt des traditionellen jüdischen Passamahls, das an den Auszug Israels aus Ägypten erinnert. Jesus isst mit seinen Jüngern dieses Mahl und setzt im selben Rahmen das Abendmahl (Eucharistie) ein (vgl. Markus 14:12-25).
Laut dieser Chronologie wird Jesus am darauffolgenden Tag (15. Nisan) gekreuzigt – also nach dem Passamahl.
Johannes’ Darstellung: Jesus stirbt als das wahre Passalamm
Das Johannesevangelium stellt den Zeitplan anders dar. Für Johannes isst Jesus vor dem eigentlichen Passamahl mit seinen Jüngern – also nicht am 14. Nisan abends, sondern früher. Jesus wird bei Johannes am Tag der Schlachtung der Passalämmer gekreuzigt, also am Nachmittag des 14. Nisan, während die Lämmer im Tempel für das abendliche Mahl vorbereitet werden (vgl. Johannes 19:14.31.42).
Diese Verschiebung hat eine klare theologische Absicht: Jesus stirbt als das wahre Passalamm, zur selben Zeit, in der die traditionellen Lämmer geschlachtet werden. So wird seine Kreuzigung mit dem uralten Bild des Opferlammes verbunden, das das Volk Israel vor dem Tod bewahrte (Exodus 12).
Johannes macht dies mehrfach deutlich:
Johannes der Täufer nennt Jesus bereits zu Beginn des Evangeliums „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt“ (Johannes 1:29).
Die Tatsache, dass Jesu Beine am Kreuz nicht gebrochen werden – im Gegensatz zu den beiden Mitgekreuzigten –, wird bei Johannes als Erfüllung des Schriftwortes gedeutet: „Kein Knochen soll ihm zerbrochen werden“ (Johannes 19:36). Dies ist ein direktes Zitat aus Exodus 12:46, wo es um das Passalamm geht.
Theologische Tiefe hinter der Verschiebung
Johannes geht es nicht um eine chronologische Präzision im modernen Sinn, sondern um eine theologische Präzision. Der Evangelist will zeigen: Jesus ist nicht nur wie ein Passalamm – er ist das Passalamm. Die Parallele zwischen dem Blut an den Türpfosten in Ägypten, das vor dem Tod rettete, und dem Blut Jesu am Kreuz, das zur Erlösung führt, steht im Zentrum seiner Passionserzählung.
Durch diese Darstellung verleiht Johannes der Kreuzigung Jesu eine doppelte Tiefe:
Sie ist das Opfer zur Erlösung der Welt.
Sie ist der Beginn eines neuen Exodus – nicht aus Ägypten, sondern aus der Knechtschaft der Sünde.
Harmonie oder Widerspruch?
Die unterschiedlichen Zeitangaben zwischen Johannes und den Synoptikern führen seit Jahrhunderten zu Diskussionen. Manche Ausleger versuchen, die Zeitpläne zu harmonisieren, etwa durch Annahme unterschiedlicher Kalender (z. B. ein essäischer oder galiläischer Kalender im Unterschied zum offiziellen Tempelkalender). Andere sehen darin keinen Widerspruch, sondern eine bewusste theologische Rahmung.
In jedem Fall ist klar: Für Johannes ist nicht die Liturgie des Tempels, sondern Jesus selbst das Zentrum des Passafestes. Die Verlagerung der Kreuzigung auf den Rüsttag macht sichtbar, dass mit Jesu Tod eine neue Realität beginnt – das wahre Pascha der neuen Schöpfung.
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